Genter Altar – beten fürs Seelenheil

Der Genter Altar

Der Genter Altar in der St.-Bavo-Kathedrale ist weltberühmt. Der riesige Flügelaltar zählt zu den bedeutendsten und zugleich auch rätselhaftesten Kunstwerken des ausgehenden Mittelalters. Das Meisterwerk gehört zum UNESCO-Welterbe. Im Laufe der Jahrzehnte versuchten verschiedenste Länder, das Triptychon zu stehlen. Einige Teile des Altars wurden gar verkauft und einige verschwanden. Der 600 Jahre alte Hochaltar eine spannende Geschichte.

Altar in der Turmkapelle

Seit 1989 steht der Altar in der Tageslicht freien nördlichen Turmseitenkapelle von St. Bavo in einer klimatisierten Panzerglasvitrine. Die grünliche Tönung des dicken Panzerglases beeinträchtigt etwas den Blick auf die originale Farbigkeit. Die Flügel werden täglich für eine Stunde geschlossen. Dann  bekommen Besucher einen Eindruck von der einst alltäglichen Ansicht des Altars. Die beiden fehlenden Bilder Adam und Eva sind durch Schwarz-weiß-Fotografien ersetzt. Der Altar stand ursprünglich in der Vijd-Seitenkapelle. Dort ist eine original große Farb-Fotokopie des Meisterwerks aufgestellt, so dass alle Bildtafeln zu sehen sind. In die Kapelle fällt Tageslicht, so dass Besucher einen guten Eindruck insbesondere von der Farbigkeit erhalten.

Die Stifter des Altars

1420 erteilte der Patrizier Jodocus Vijd der Werkstatt der Brüder van Eyck den Auftrag für den Altar. Vijd stammte aus der Genter Oberschicht und stand im Dienste von Philipp dem Guten. In dessen Diensten stand auch Jan van Eyck. 1425/26 reiste Vijd im Gefolge des Herzogs nach Holland und Seeland. Seit 1396 war Vijd immer wieder Mitglied des Stadtrates, 1433/34 auch Bürgermeister. Als Vijd 1439 starb, hatte er das Kirchenmeisteramt der Johanneskirche inne. Seine Frau Isabella Borluut stammte ebenfalls aus dem Genter Patriziat. Ihr Vater war mehrere Male Bürgermeister. Sie starb 1443. 1435 vermachte Vijd der Kirche ein Stück Land, damit von dessen Erträgen auch in Zukunft an dem Altar Messen für das ewige Seelenheil des Stifters und seiner Frau gelesen werden. Seit 600 Jahren findet vor diesem Altar nunmehr täglich eine Messe statt. Der Luxus und die Pracht des Altars macht das Konkurrenzverhalten gegenüber dem Hof und die Demonstration der eigenen Stellung deutlich. Der Altar ist somit nicht nur ein Zeugnis der Kunst sondern auch eines der sozialen Selbstdefinition und der Geltungsansprüchen des Auftraggebers.

Moderne Kunst im 15. Jahrhundert

Für die damalige Zeit war die Malerei von Jan van Eyck (1390-1441) so bahnbrechend wie die Bilder von Gerhard Richter heute. Van Eyck setzte sehr gekonnt die neue Technik der Ölfarben ein. Allein der ungewöhnliche Glanz seiner Farben war fundamental anders als die bis dahin übliche Malerei mit stumpfen Temperafarben. Dazu kam die Darstellung einer „natürlichen“ Landschaft. Van Eyck bricht mit dem Stil des Mittelalters und wendet sich hin zu einer naturnahen, wirklichkeitsgetreuen Darstellungsweise. Denn bis dahin war es üblich den Himmel – die himmlische Sphäre – als goldfarbendes Firmament dazustellen. Das Werk weist zudem die ersten bedeutenden Aktbilder der naturalistischen Malerei auf.

Verehrung des Lamms

War auf mittelalterlichen Landschaften der Himmel in der Regel durch Gold symbolisiert, so stellt van Eyck das Paradies buchstäblich als Garten Eden dar. Aus der Vogelperspektive gesehen, breitet er eine Landschaft unter einem heiteren Himmel mit federleichten Wölkchen aus. Mit Wiesen und Baumgruppen bedeckte Hügel reihen sich aneinander, hinter denen die Kirchtürme niederländischer Städte aufragen. Viele der Blumen und Pflanzen sind so genau dargestellt, dass sich leicht Orangen- und Granatapfelbäume, Palmen und Zypressen, Rosenbüsche und Weinstöcke sowie Lilien, Iris, Pfingstrosen, Maiglöckchen, Waldmeister und Gänseblümchen identifizieren lassen.

Nur an Festtagen war das Lamm zu sehen

Die Innenseite des Altars wurde nur an hohen christlichen Festen gezeigt: zu Weihnachten, Ostern und Allerheiligen. An den übrigen Tagen blieben die Flügel geschlossen. Mit geöffneten Flügeln zeigt der Altar seine Festtagsseite. Sie ist unterteilt in zwei Zonen. Der obere Mittelteil zeigt Gott als Pantokrator, den thronenden Weltenherrscher, sowie Maria und Johannes den Täufer. Auf den Seitenflügeln wird die Gruppe jeweils von Engeln und von Adam und Eva begleitet. Der untere Teil zeigt auf fünf Teilen, die durch eine einheitliche Landschaft miteinander verbunden sind, die Heiligen, die betend um das Lamm versammelt sind.

Wechselvolle Geschichte

Der Altar hat eine wechselvolle und abenteuerliche Geschichte hinter sich. Im 16. Jahrhundert wurde er zum ersten Mal einer Restaurierung unterzogen, bei der angeblich die Predella vernichtet wurde. Während des niederländischen Bildersturms versteckte man den Altar im Kirchturm und brachte ihn erst nach der Rekatholisierung Flanderns 1569 wieder an seinen Platz in der Vijd-Kapelle zurück. 1578 demontierten die Calvinisten das Kunstwerk erneut und stellten es im Rathaus auf. Es kehrte zwanzig Jahre später wieder nach St. Bavo zurück. 1781 mussten die Tafeln mit Adam und Eva entfernt werden, angeblich, weil Kaiser Joseph II. an den nackten Vorfahren Anstoß nahm.

Franzosen verschleppen den Altar nach Paris

Nach der Eroberung Flanderns durch französische Truppen wurden die Mittelteile des Altars nach Paris verschleppt. Nach der Schlacht bei Waterloo kamen die Haupttafeln nach Gent zurück. Die Seitentafeln wurden – nach damaliger Auffassung legal – an einen Händler verkauft und von diesem an den englischen Kaufmann Edward Solly weiter veräußert. Solly verkaufte die Seitentafeln 1821 für 400.000 Gulden an den preußischen König Friedrich Wilhelm III. 1829 wurden die nach Berlin gelangten Tafeln in eine Vorder- und eine Rückseite zerteilt, damit man beide Seiten besser betrachten konnte. Die Tafeln kamen 1830 ins neu eröffnete Alte Museum von Karl Friedrich Schinkel. Eine (echte) Kopie des Genter Altars ist im Bode-Museum ausgestellt.

Deutschland gibt Altarbilder an Belgien zurück

Nach dem Ersten Weltkrieg verpflichtete der Vertrag von Versailles Deutschland zur Rückgabe der Altartafeln. In Belgien wurden die zersägten Tafeln wieder zusammengefügt und mit den inzwischen in das Brüsseler Museum gelangten Adam- und Eva-Flügeln vereinigt. Danach wurde der Hochaltar wieder in der St.-Bavo-Kirche aufgestellt. 1934 wurden die Tafeln mit den Gerechten Richtern und Johannes dem Täufer gestohlen. Letztere wurde zurückgegeben. Im Zweiten Weltkrieg raubten die Deutschen den kostbaren Altar. Die sogenannten „Monuments Man“ fanden den Altar in einem Kunstdepot und brachten ihn nach Gent zurück.

Papageien-Taucher-Infos

(Sint-Baafskathedraal), Sint-Baafsplein, 9000 Gent; Telefon: +32-92692045; Eintritt: 4 Euro; Öffnungszeiten: Sommer (April bis Oktober) 8.30-18 Uhr, So 10-18 Uhr, Winter (November bis März) 8.30-17 Uhr, So 10-17 Uhr; Öffnungszeiten der Kapelle mit dem Genter Altar: Sommer 9.30-17 Uhr, Winter 10.30-16 Uhr, am 1. Januar geschlossen; die Kapelle mit dem Gemälde „Die Anbetung des mystischen Lammes“ ist in der Sommersaison von 9.30-17 Uhr geöffnet, im Winter von 10.30-16 Uhr, sonntags ist die Kapelle erst ab 13 Uhr zugänglich; Internet: www.sintbaafskathedraal.be;

Die Außentafeln des Triptychons werden täglich von 12-13 Uhr geschlossen. So können Besucher auch die restaurierte Außenverkleidung betrachten.

Tipp 1: 2020 zeigen mehrere Ausstellung, wie van Eyck die Sichtweise seiner Zeit beeinflusste. Unter dem Motto „OMG! Van Eyck was here“ gibt es zum Jubiläum des 600 Jahre alten Altars verschiedenste Veranstaltungen. So startet am 1. Februar die dreimonatige Werkschau „Van Eyck. Eine optische Revolution“ im Museum für Schöne Künste.

Tipp 2: Die Genter Innenstadt ist Umweltzone und für Fahrzeuge nur eingeschränkt zu befahren. Wer mit seinem Auto in die Innenstadt fahren will, benötigt dazu eine Genehmigung. Der Besuch der Kathedrahle ist daher am besten zu Fuß absolvieren.

 

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